Sonntag, 18. Dezember 2005

Die Eisenbahn nach Lhasa

...ihre umstrittene Legitimität, demographische Säuberungen und die Verlegung der Schienen durch chinesische Migranten im Grasland

Wie von People’s Daily Online berichtet, hat die chinesische Eisenbahn von Golmud nach Lhasa am 18. September den Westbahnhof von Lhasa erreicht. Es sollen bereits mehr als 1.100 km Schienen verlegt worden sein. Die letzten 50 km sollten Mitte Oktober 2005 fertig werden. Weiter hieß es, am 1. Juli 2006 werde der Versuchsbetrieb aufgenommen.

Die Tibeter in Tibet befürchten, dass dieses von reichlich Publicity begleitete Eisenbahnprojekt ihre Lebensweise und den Erwerb ihres Lebensunterhalts einschneidend verändern wird. Die Eisenbahn ermöglicht den Zustrom weiterer chinesischer Migranten, was dazu führen wird, dass die ohnehin schon marginalisierte tibetische Bevölkerung kaum mehr in der Lage sein wird, ihre Identität zu wahren. Die Eisenbahn wird die Assimilierung der tibetischen Kultur an die chinesische beschleunigen und den Tibetern den Erwerb ihres Lebensunterhalts erheblich erschweren.

Die Einrichtung von Eisenbahnverbindungen nach Urumqi und Kashgar in der Autonomen Region Xinjiang führte zu einem gigantischen Zustrom von Han-Chinesen. Die innere Mongolei erfuhr eine demographische Säuberung, nachdem eine Eisenbahn dorthin gelegt wurde. Auch die Tibeter erwartet ein ähnliches Schicksal, obwohl sie ohnehin schon mit dem Rücken zur Wand stehen.

Angesichts der starken internationalen Besorgnis hinsichtlich dieser Eisenbahn lässt die Regierung der VR China nichts unversucht, um ihr größtes Projekt auf dem tibetischen Hochland zu rechtfertigen. Sämtliche chinesische Medien, die sich größtenteils in staatlichem Besitz befinden, malen ein Bild von glücklichen Tibetern, die sich über die neue Eisenbahn freuen. In Wirklichkeit aber haben die Tibeter große Angst, daß eine weitere Zuwanderungswelle chinesischer Migranten auf sie zukommen wird, und sie dann noch weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt und schließlich kulturell assimiliert werden. Es wird dann noch schwerer für sie sein, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Regierung erzwingt Legitimierung ihrer neuen Eisenbahnlinie

Ein neu eingetroffener Flüchtling aus dem Kreis Damshung im Bezirk Lhasa (dessen Name auf seine Bitte hin nicht veröffentlicht wird) berichtete dem TCHRD, dass die chinesischen Behörden die Tibeter aus propagandistischen Gründen zwingen, an offiziellen Jubelfeiern für die neue Eisenbahn teilzunehmen. Er sagte: “Ende Mai wurden im Kreis Damshung die letzten Schienen verlegt. Die örtlichen Behörden wollten ihre Loyalität der Zentralregierung gegenüber dadurch beweisen, dass sie eine Dankesfeier anberaumten. Für die Vertreter der Gemeinden aus unserem Landkreis war die Teilnahme dabei obligatorisch. Rund 125 Tibeter aus den Gemeinden Uma, Lungring, Gesa und anderen wurden zum Ort der Zeremonie beordert.

Obwohl sie keineswegs den Wunsch hatten, an dieser Feier teilzunehmen, erschienen die betreffenden Personen schließlich, um die 25 Yuan Strafe zu vermeiden, die jeden geladenen, aber nicht präsenten Tibeter erwartet hätten. Die Behörden hatten mit weiteren ernsten Konsequenzen gedroht. So kam es, dass neben chinesischen Kadern von der Lokalregierung und Mitarbeitern der Eisenbahn auch tibetische Repräsentanten der Gemeinden vertreten waren. Man hatte natürlich auch die Medien eingeladen, damit diese über die Festivität berichteten.

Die Kader befahlen den Tibetern, ‚echte Freude’ an den Tag zu legen und stellten eine Anzahl von ihnen zum Applaudieren an den Gleisen auf. Diese Bilder wurden später mit folgendem Begleittext vom Lhasa TV gesendet: ‚Die Tibeter begrüßen die Eisenbahn’. In Wahrheit sind die Tibeter aus dem Landkreis Damshung aber überhaupt nicht glücklich über die Eisenbahn.

Sie fürchten um ihre nomadische Lebensweise, denn durch den Schienenstrang wurden bereits zahlreiche Weidegründe für ihre Herden zerstört und die Zukunft wird noch mehr Probleme mit sich bringen. Vor allem befürchten die Tibeter die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen durch die zu erwartende erhebliche Zunahme chinesischer Migranten.
Bereits heute gibt es bei uns mehr chinesische Neusiedler als Tibeter, und über 70% aller Geschäfte sind in ihrer Hand. Da die Mehrheit der Tibeter nicht lesen und schreiben kann, werden alle neuen Arbeitsplätze von Chinesen weggeschnappt. Als Analphabeten sind die Tibeter oft recht leichtgläubig und stolpern in die von den Behörden gestellten Fallen. So gab es durchaus auch Tibeter, die glaubten, dass die Regierung sie anläßlich der Fertigstellung der Eisenbahnlinie zu einem großen Fest einladen wolle. Die Anwesenden wurden gebeten, ihre Teilnahme mit ihrer Unterschrift zu bestätigen. Dadurch sollte Authentizität simuliert werden. Aber die Tibeter, die unterschrieben, haben nichts davon, denn die Behörden haben sie nur zur Legitimierung ihres Projekts ausgenützt.”

Danke für die Info an: Adelheid Dönges, Internationale Gesellschaft fur Menschenrechte (IGFM)
http://www.igfm-muenchen.de

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